Ein ukrainischer Schüler des HSG erzählt von seinem Leben in Kiew vor dem Krieg

Hallo, ich bin Leonid. Ich bin zwölf Jahre alt und habe in Kiew gelebt. Ich möchte euch ein wenig über den Alltag aus meiner Heimat erzählen.

Schule in der Ukraine

Meine Schule in Kiew ist nicht groß, dafür aber anstrengend. Die Noten gehen bei uns von 1 bis 12. Die schlechteste Note ist 1 und die beste 12. Die Schule beginnt pünktlich um 9 Uhr und endet um 13.30 Uhr. Nach jeder Stunde gibt es eine Pause. Die Pause dauert 10 Minuten. Es gibt andere Fächer als hier in der fünften Klasse, zum Beispiel Geschichte, ukrainische Literatur, Informatik und Technik. Man bekommt immer eine mündliche Note für den Unterricht oder für eine Hausaufgabe. Es kann auch immer eine Probe kommen. Machmal ist sie angekündigt. Wenn man in Mathe gut ist, hat man die Möglichkeit, nach der 4. Klasse in die Matheklasse statt der normalen Klasse zu gehen. Bei mir in der Klasse gab es 33 Schüler und Schülerinnen. Manchmal waren wir bei Englisch und Informatik oder Technik getrennt. Toll finde ich, dass es in der Ukraine viele Wettbewerbe für Jugendliche gibt. Häufig sind es Mathethemen. Meine Schule war schon ein bisschen alt und nicht so modern, wie hier.

Ich vermisse meine Heimat. In der Ukraine habe ich in einem Hochhaus gewohnt. Das Tolle war, dass meine Tante und mein bester Freund auch in meinem Haus gewohnt haben. Das Hochhaus steht direkt neben dem Fluss Telbin in Kiew. Häufig wird im Sommer dort gebadet. Nach meinen Hausaufgaben bin ich entweder zum Skiunterricht, zum Robotik-Kurs oder zum Schwimmen gegangen. Dort habe ich auch schon ein paar Mal einen Preis gewonnen.

Feste und Traditionen in der Ukraine

Zwölf Schalen auf der Weihnachtstafel symbolisieren bei uns sowohl die Anzahl der Apostel als auch die Monate im kommenden Jahr. Die wichtigsten Weihnachtsgerichte sind Kutia (eine süße Getreidespeise aus Weizen, Honig, Nüssen, Mohn und Rosinen) und Uzvar (ein Getränk aus getrockneten Früchten, Beeren und heilenden ukrainischen Kräutern). Andere Gerichte sind individuell, müssen aber mager sein, da das Fasten bis Weihnachten selbst dauert. Laut einem Kanon aus der Bibel darf man am Tag vor Weihnachten nichts essen. Man setzt sich erst an den Tisch, wenn der erste Stern am Himmel erscheint – ein Symbol dafür, dass der Erlöser (Jesus) geboren wurde. 

In der Ukraine heißt Silvester новий рік (neues Jahr). Bei uns kommt der Weihnachtsmann am 31. Dezember und die Weihnachtsferien starten am 25. Dezember. Wir stellen immer einen Weihnachtsbaum auf, schmücken diesen und bis zum новий рік schreibt man einen Brief an den Weihnachtsmann. Der Advent startet auch bei uns vier Sonntage vor Weihnachten. 

Abends am 31. Dezember kommt die ganze Familie zusammen und isst ein traditionelles Essen, zum Beispiel Oliven oder  Schuba (Schichtsalat mit Heringen, Zwiebeln, Äpfeln, Kartoffeln, Eier und roter Beete) und manchmal Fisch. Danach singen wir Weihnachtslieder und dürfen bis zwölf Uhr nachts nicht schlafen und schauen Weihnachtsfilme. Wenn es ungefähr 23.50 Uhr ist, warten wir, bis die Kirchenglocken läuten. Das bedeutet, dass das neue Jahr angefangen hat. Wir feiern noch ein bisschen und gehen schließlich ins Bett. Am nächsten Tag finden wir unter dem Weihnachtsbaum Geschenke. 

Am 14. Dezember, also noch vor Weihnachten, gibt es eine weitere wichtige Tradition: Старий новий рік (altes neues Jahr). An cтарий новий рік sähen die Sämann-Jungen Getreide in die Häuser von Verwandten, Nachbarn und Bekannten. Säher sollten Jungen sein, da man glaubt, dass ein Mann an Silvester der Erste sein sollte, der das Haus betritt, damit sowohl in der Familie als auch mit dem Besitz alles gut geht. Sie sähen Getreide, hauptsächlich Roggen und Weizen. In der Regel wird dem ersten Sämann besondere Aufmerksamkeit geschenkt, deswegen versuchen die Jungen morgens, so früh wie möglich aufzustehen, um der Erste zu sein. 

Bild: Clara Stegmann

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