Über sarkastische Eltern und leichtgläubige Kinder
Die Kindheit. Eine wundervolle Zeit, vor allem für Eltern und ältere Geschwister. Denn diesen kleinen Wesen, die anscheinend von allem fasziniert sind und wahllos durch die Gegend torkeln mit wenig Verständnis für die Welt um sie herum, kann man ganz wunderbar Geschichten erzählen. Die diese dann sogar glauben werden…
Meine Schwester und ich hatten beide das Glück, sehr leichtgläubig zu sein und eine Familie zu haben, deren zweite Sprache Sarkasmus ist, was dazu führt, dass ich nicht selten von meinen Freunden für Sachen ausgelacht wurde, die ich als Kind geglaubt hatte. Oder die mich auslachten, weil ich gerade erst erfuhr, dass meine Mutter mich angelogen hatte und man Socken überhaupt nicht bügeln musste – und ich sehr viel Zeit an meinem Miniatur-Bügelbrett verbracht hatte und dabei sehr stolz auf mich war, weil ich die Socken und Strumpfhosen bügelte.
Ich weiß nicht, ob ich all diese typischen Geschichten über die Zahnfee und das Christkind zur gleichen Zeit zu hinterfragen begann, aber ich weiß, dass es ein sehr großes Ding für mich war. Ich erkannte auf einmal, dass die Schokoeier, die immer am Rand des Weges beim Osterspaziergang lagen, nicht auf magische Weise auftauchten, sondern meine Mutter sie warf. Und ich fühlte mich sehr schlau, als ich diese Theorie bestätigte, indem ich auch eines warf. Mit dem Christkind war es ein ständiges Hin und Her. Ja, es war schon irgendwie komisch, dass meine Mutter immer nur halb in der Tür stand und so ihren linken Arm verbarg, als das Glöckchen läutete, aber ich war unsicher. Ich hatte sogar den Plan, meine Kamera zwischen den Kissen zu verstecken, um einen endgültigen Beweis zu bekommen. Durchgeführt habe ich ihn aber nicht.
Haben „Hangkühe“ wirklich unterschiedlich lange Beine?
Trotzdem glaubte ich meinen Eltern sehr lange sehr offensichtlich erfundene Dinge. Auf der Fahrt ins Allgäu kamen wir zum Beispiel an einer Wiese mit Kühen vorbei. Und anscheinend war die Fahrt so langweilig, dass mein Vater beschloss, es sei eine gute Zeit, seine Tochter anzulügen. So erklärte er mir, dass diese Kühe “Hangkühe” waren, die sich von normalen Kühen unterschieden, da sie auf einer Seite längere Beine hatten als auf der anderen, um gerade auf dem Berg zu stehen. Das Ganze endete in einer sehr seriösen Diskussion, ob diese Kühe schon von Geburt an unterschiedlich lange Beine hatten – und vor allem: Was passiert, wenn sie sich einmal umdrehen? Das war eine Frage, mit der ich mich intensiv und sehr sachlich beschäftigte und darüber mit meinen Eltern fachsimpelte, während es diese auf unerklärliche Weise schafften, mich nicht auszulachen. Soweit ich mich erinnere, wurde diese Lüge sogar nicht nur für die Dauer der Fahrt, sondern einige Wochen, wenn nicht sogar Monate aufrechterhalten.
Unsere Eltern wollten vieles: uns Weihnachten magischer machen, Ostern verschönern. Aber vor allem wollten sie eines: uns vom Fernseher fernhalten. So viel wie nur möglich. Ein absoluter Klassiker ist natürlich der Mythos, dass man von zu viel Fernsehen viereckige Augen bekommt, aber meine Eltern waren auch noch so dreist, mich glauben zu lassen, dass der Fernseher erst ab fünf funktionierte. Natürlich glaubte ich es ihnen und war deshalb sehr überrascht, als meine Oma mich schon um vier Uhr fernsehen ließ.
Schlechtes Wetter war die Schuld der lokalen Hexen
Erklärungen für Phänomene, die wir nicht verstehen, waren früher um einiges kreativer. Blitze waren das Ergebnis des neuesten Wutausbruchs des Göttervaters, schlechtes Wetter die Schuld der lokalen Hexen. Aber die Erklärung für Radios, die eine Freundin von mir früher glaubte, ist auch nicht schlecht. Die Vorstellung, dass Mäuse mithilfe eines Laufrades die Musik zum Laufen bringen und die Sänger immer wieder ihre Lieder live singen und von Studio zu Studio fahren mussten, ist um einiges schöner als die Realität.
Ich war schon beinahe mit diesem Artikel fertig, als das Internet entschied, dass es Zeit sei, mir ungefragt ein Meme über Barney Stinson zu zeigen, auch wenn ich keine einzige Folge von “How I met your mother” gesehen habe. Und irgendwie hat das in mir eine Erinnerung aufgedeckt, die keinerlei Sinn macht. Ich schaue gerade mit meinem Vater Dmax, ein wunderschönes Programm voll mit Autos, als Neil Patrick Harris, der Schauspieler von Barney Stinson, um die Ecke kommt. Daraufhin frage ich meinen Vater: „Das ist der Präsident, oder?“ Er bejaht die Frage. Und diese Erinnerung wirft so viele Fragen in mir auf. Warum sollte Neil Patrick Harris bei einer Serie von Dmax dabei sein? Warum sollte der Präsident dabei sein? Wie kam ich darauf, dass Neil Patrick Harris der Präsident ist, und warum hat mein Vater mich in meinem Glauben bestätigt? Ist diese Erinnerung nur ausgedacht (es wäre tatsächlich nicht die erste)? Ich habe meinen Vater nach dieser Erinnerung gefragt und es stellte sich heraus, dass er mir diese Lüge nie erzählt hat. Deshalb ist dieser Irrglaube der dümmste aus der ganzen Liste. Nicht mal, weil er so wenig Sinn macht. Socken zu bügeln, macht auch keinen Sinn, aber einen Elternteil hinterfragt man nicht. Aber niemand hat mir erzählt, dass Neill Patrick Harrison der Präsident ist, ich habe es einfach angefangen zu glauben, vermutlich weil ich es einmal geträumt habe.
Aber jetzt, wo ich endgültig akzeptiert habe, dass meine Eltern die Geschenke selbst besorgen müssen und meine Mutter immer das Glöckchen läutet und nicht das Christkind, weiß ich, dass Weihnachten nie wieder so schön sein wird wie damals als Kind. Und ich wäre gern wieder jünger, nur um die Welt wieder aus den naiven Augen eines Kindes zu sehen, das stolz auf sich ist, weil es gerade ein Paar Socken gebügelt hat.
Foto: Alina Albrecht, Tim Arnold, Smilla Kreuzberg